Geltende Gesetze und Verordnungen (SGV. NRW.)  mit Stand vom 17.4.2024

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§ 17a (Fn 8)
Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge

(1) Medizinische Untersuchung und Behandlung sowie Ernährung sind gegen den natürlichen Willen der Patientinnen und Patienten nur bei gegenwärtiger Lebensgefahr sowie gegenwärtiger schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit der Patientinnen und Patienten oder anderer Personen zulässig, wenn die Patientin oder der Patient zur Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahme oder zum Handeln nach dieser Einsicht krankheitsbedingt nicht in der Lage ist. Maßnahmen nach Satz 1 dürfen nur angeordnet werden, wenn
1. erfolglos versucht worden ist, die Zustimmung der Patientinnen und Patienten zu der Maßnahme zu erwirken,
2. die Anordnung der Maßnahme den Patientinnen und Patienten angekündigt wurde und sie über Art, Umfang und Dauer der Maßnahme informiert wurden,
3. die Maßnahme zur Abwendung der Gefahr geeignet, in Art, Umfang und Dauer erforderlich und für die Beteiligten zumutbar ist,
4. der von der Maßnahme zu erwartende Nutzen für die Patientinnen und Patienten die mit der Maßnahme für sie verbundenen Belastungen deutlich überwiegt und
5. die Maßnahme nicht mit einer erheblichen Gefahr für das Leben der Patientinnen und Patienten verbunden ist.

(2) Die medizinische Behandlung gegen den natürlichen Willen der Patientinnen und Patienten ist darüber hinaus zur Erreichung der Entlassfähigkeit oder bei einer erheblichen Gefahr für das Leben oder für die Gesundheit der Patientinnen und Patienten zulässig, wenn und solange
1. die Patientinnen oder Patienten zur Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahme oder zum Handeln nach dieser Einsicht krankheitsbedingt nicht in der Lage sind,
2. der mit dem nötigen Zeitaufwand unternommene Versuch vorausgegangen ist, die Zustimmung der Patientinnen oder Patienten zu erreichen,
3. die Maßnahme zur Erreichung des Ziels geeignet, in Art, Umfang und Dauer erforderlich und für die Beteiligten zumutbar ist,
4. der von der Maßnahme zu erwartende Nutzen für die Patientinnen und Patienten die mit der Maßnahme für sie verbundenen Belastungen deutlich überwiegt und eine weniger eingreifende Behandlung aussichtslos ist,
5. die Maßnahme nicht mit einer erheblichen Gefahr für das Leben der Patientinnen und Patienten verbunden ist und
6. im Falle der Behandlung zur Erreichung der Entlassfähigkeit die Maßnahme regelmäßig nicht mit mehr als einem vernachlässigbaren Restrisiko irreversibler Gesundheitsschäden verbunden ist.

(3) Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 werden ärztlich, Maßnahmen nach Absatz 2 fachärztlich angeordnet, geleitet und überwacht. Die Anordnung erfolgt im Einvernehmen mit der therapeutischen Leitung der Einrichtung. Das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 1 und 2 und die ergriffenen Maßnahmen, einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise und der Wirkungsüberwachung sowie der Untersuchungs- und Behandlungsverlauf sind zu dokumentieren.

(4) Eine Zwangsbehandlung nach Absatz 2 bedarf der vorherigen Einwilligung durch das für den Maßregelvollzug zuständige Ministerium. Über eine Zwangsbehandlung nach Absatz 1 ist es zeitnah zu unterrichten.

(5) Maßnahmen nach Absatz 2 sind den Patientinnen und Patienten zwei Wochen vor ihrer Umsetzung schriftlich und mündlich unter Angabe der Gründe sowie Art, Umfang und Dauer in einer ihrem Gesundheitszustand entsprechenden Weise anzukündigen. Zugleich ist über die Möglichkeit zu belehren, eine gerichtliche Entscheidung nach § 109 des Strafvollzugsgesetzes vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 581, 2088; 1977 I S. 436) in der jeweils geltenden Fassung herbeizuführen.

(6) Eine Anordnung nach Absatz 2 gilt höchstens für die Dauer von drei Monaten. Nach Ablauf dieser Zeit ist eine neue Anordnung zu treffen, die zusätzlich ein positives Votum zur Fortsetzung der Zwangsbehandlung von einer unabhängigen Fachärztin oder einem unabhängigen Facharzt voraussetzt. Diese oder diesen bestimmt das für den Maßregelvollzug zuständige Ministerium.

(7) Über Maßnahmen nach Absatz 1 und Absatz 2 sind Personensorgeberechtigte der Patientinnen und Patienten unverzüglich zu unterrichten. Dem Wunsch der Patientinnen und Patienten nach Unterrichtung weiterer Personen soll entsprochen werden.

(8) Eine bestehende Patientenverfügung ist zu beachten.

Fußnoten:

Fn 1

GV. NRW. S. 402, geändert durch Gesetz v. 11.6.2002 (GV. NRW. S. 237); Artikel 63 des Vierten Befristungsgesetzes vom 5.4.2005 (GV. NRW. S. 332), in Kraft getreten am 30. April 2005; Art VI des Gesetzes v. 5.4.2005 (GV. NRW. S 408), in Kraft getreten am 5. Mai 2005; Artikel 3 des Gesetzes vom 27. Oktober 2009 (GV. NRW. S. 540), in Kraft getreten am 1. März 2010; Artikel 7 des Gesetzes vom 7. April 2017 (GV. NRW. S. 511), in Kraft getreten am 1. September 2017; Artikel 4 des Gesetzes vom 2. Juli 2019 (GV. NRW. S. 339), in Kraft getreten am 17. Juli 2019; Artikel 2 des Gesetzes vom 17. Dezember 2020 (GV. NRW. S. 1238), in Kraft getreten am 1. Januar 2021.
Aufgehoben durch Gesetz vom 17. Dezember 2021 (GV. NRW. S. 1494) nach Maßgabe des § 62 (siehe Hinweis), in Kraft getreten am 31.Dezember 2021.

Fn 2

GV. NRW. ausgegeben am 15. Juli 1999.

Fn 3

§§ 1, 3, 18, 26 und 34 geändert durch Gesetz v. 11.6.2002 (GV. NRW. S. 237), in Kraft getreten am 29. Juni 2002.

Fn 4

§§ 27 u. 28 gestrichen durch Gesetz v. 11.6.2002 (GV. NRW. S. 237), mit Wirkung vom 29. Juni 2002.

Fn 5

§ 38 angefügt durch Artikel 63 des Vierten Befristungsgesetzes vom 5.4.2005 (GV. NRW. S. 332);in Kraft getreten am 30. April 2005.

Fn 6

§ 16 Abs. 3 geändert durch Art VI des Gesetzes v. 5.4.2005 (GV. NRW. S 408); in Kraft getreten am 5. Mai 2005.

Fn 7

§ 35: Wortlaut umbenannt in Absatz 1 und Absatz 2 angefügt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 27. Oktober 2009 (GV. NRW. S. 540), in Kraft getreten am 1. März 2010; Absatz 3 angefügt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 7. April 2017 (GV. NRW. S. 511), in Kraft getreten am 1. September 2017.

Fn 8

§ 17a eingefügt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 7. April 2017 (GV. NRW. S. 511), in Kraft getreten am 1. September 2017; Absatz 5 geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 2. Juli 2019 (GV. NRW. S. 339), in Kraft getreten am 17. Juli 2019; Absatz 4 und 6 geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 17. Dezember 2020 (GV. NRW. S. 1238), in Kraft getreten am 1. Januar 2021.

Fn 9

§ 17: Absätze 1, 3 und 4 geändert, Absatz 2 neu gefasst und Absatz 5 aufgehoben durch Artikel 7 des Gesetzes vom 7. April 2017 (GV. NRW. S. 511), in Kraft getreten am 1. September 2017; Absatz 3 (alt) aufgehoben und Absatz 4 (alt) umbenannt in Absatz 3 durch Artikel 4 des Gesetzes vom 2. Juli 2019 (GV. NRW. S. 339), in Kraft getreten am 17. Juli 2019.

Fn 10

Inhaltsübersicht zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 2. Juli 2019 (GV. NRW. S. 339), in Kraft getreten am 17. Juli 2019.

Fn 11

§ 21a eingefügt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 2. Juli 2019 (GV. NRW. S. 339), in Kraft getreten am 17. Juli 2019.

Fn 12

§ 31 zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 17. Dezember 2020 (GV. NRW. S. 1238), in Kraft getreten am 1. Januar 2021.