Historische SMBl. NRW.

 Aufgehobener Erlass: Aufgehoben durch Erlassbereinigung 2003 (§ 9 VV v. 29.8.61).

 


Historisch: Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) Vorläufige Richtlinien zur Durchführung des Gesetzes RdErl. d. Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales v. 26. 7. 1976 - II B l - 4351 - (35/76)¹)

 

Historisch:

Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) Vorläufige Richtlinien zur Durchführung des Gesetzes RdErl. d. Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales v. 26. 7. 1976 - II B l - 4351 - (35/76)¹)

125. Ergänzung - SMBl. NW. - (Stand 16. 6. 1978 = MBl. NW. Nr. 63 einschl.)

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 Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG)

Vorläufige Richtlinien zur Durchführung des Gesetzes

RdErl. d. Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales v. 26. 7. 1976 - II B l - 4351 - (35/76)¹)

Sozialgesetzbuch Erstes Buch (I SGB)

Das Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten ist nach. Artikel II § l Nr. 111 SGB besonderer Teil des Sozialgesetzbuches.

2 Geltungsbereich

2.1 Das Gesetz gilt für Ansprüche aus Taten, die nach dem 15. Mai 1976 begangen worden sind. Die Gewährung auch nur eines Härteausgleichs in Fällen, in denen die Tat vor dem 16. Mai 1976 begangen wurde, ist nicht möglich (vgl. Nr. 5.22).

2.2 Das Gesetz findet Anwendung, wenn die Schädigung im Bundesgebiet einschließlich des Landes Berlin eingetreten ist; zu diesem Gebiet gehören auch die hier befindlichen Grundstücke mit aufstehenden Gebäuden ausländischer Vertretungen. Femer gehören dazu der Luftraum und das Küstenmeer.

Bei grenzüberschreitenden Gewalttaten kommt es auf den Ort, von dem der Angriff oder die Abwehr ausgegangen ist, nicht an.

2.3 Ist die Schädigung außerhalb des Bundesgebiets oder des Landes Berlin eingetreten, findet das Gesetz Anwendung, wenn die Schädigung auf einem deutschen . Schiff oder in einem deutschen Luftfahrzeug eingetreten ist; es sind auch die Folgen eines solchen Angriffs oder einer Abwehr geschützt, die von außen auf ein deutsches Schiff oder Luftfahrzeug einwirken. Deutsche Schiffe sind Schiffe, die nach dem Flaggen-rechtsgesetz vom 8. Februar 1951 (BGB1.1 S. 79), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. September 1974 (BGB1. I S. 2317), die Bundesflagge führen. Deutsche Luftfahrzeuge sind Luftfahrzeuge, die nach dem Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. November 1968 (BGB1. l S. 1114), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Oktober 1975 (BGB1. I S. 2679), das Staatszugehörigkeitszeichen der Bundesrepublik führen.

2.4 Das Gesetz gilt für Deutsche im Sinne des Artikels 116 Abs. l des Grundgesetzes, auch wenn sie eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen. Maßgebend ist die Zeit, für die Versorgung in Betracht kommt. Hinterbliebene erhalten als Deutsche beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auch dann Versorgung, wenn der Geschädigte zu Lebzeiten nach § l Abs. 4 OEG keinen Anspruch hatte. Bestehen Zweifel, daß der Geschädigte oder der Hinterbliebene eines Geschädigten Deutscher ist, ist der Nachweis, Deutscher im Sinne des Grundgesetzes zu sein, durch den Staatsangehörigkeitsausweis oder Heimatschein zu erbringen.

2.5 Das Gesetz gilt für Ausländer, sofern die Gegenseitigkeit gewährleistet ist (§ l Abs. 4 OEG). Ausländer sind Personen, die nicht Deutsche im Sinne des Artikels 116 Abs. l des Grundgesetzes sind, auch wenn sie deutsche Volkszugehörige sind.

Die Zugehörigkeit zu Staaten, die die Gegenseitigkeit gewährleisten, ist nachzuweisen.

2.51 Die Gegenseitigkeit im Sinne des § l Abs. 4 OEG ist derzeit

a) gewährleistet im Verhältnis zu Dänemark, Groß-Britannien einschließlich Nord-Irland, der Republik Irland, den Niederlanden und Schweden,

b) nicht gewährleistet im Verhältnis zu Belgien, Griechenland, Italien, Jugoslawien, Libanon, Luxemburg, Österreich, Spanien, der Türkei und zu Tunesien.

Trägt ein Geschädigter fremder Staatsangehörigkeit in anderen als den genannten Fällen vor, daß sein Heimatland die Gegenseitigkeit gewährleistet, ist auf dem Dienstwege über mich eine entsprechende Anfrage an die deutsche Vertretung in dem betreffenden Staat zu richten.

2.52 Vom Erfordernis der Gegenseitigkeit befreit sind

a) heimatlose Ausländer (§ 5 des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bun-

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desgebiet vom 25. April - BGB1.1 S. 269 -, zuletzt geändert durch.Gesetz vom 9. September 1965 -BGB1.1 S. 1273-),

b) Flüchtlinge, wenn sie sich 3 Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben (Artikel 7 Ziffer 2 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - BGB1. II 1953 S. 559 in Verbindung mit Artikel l Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - BGB1. II 1969 S. 1293 -),

c) Staatenlose, wenn sie entweder nach den Buchstaben a) oder b) bevorrechtigt sind oder wenn sie sich 3 Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben (Artikel 7 Abs. 2 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen - BGB1. II 1967 S. 473 -).

Nicht unter Buchstabe c) fallende Staatenlose haben keinen Anspruch auf Versorgung.

2.6 Der Anspruch auf Versorgung besteht unabhängig von dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten (vgl. Nr. 5).

2.7 . Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Kriegsopferversorgung und Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 7. Mai 1963 (BGB1. II S. 220) und der Zusatzvertrag zur Durchführung und Ergänzung des Vertrages vom 7. Mai 1963 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Kriegsopferversorgung und Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 7. Februar 1969 (BGB1. II S. 197) finden auch auf Personen Anwendung, die nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Ge-waltaten anspruchsberechtigt sind.

3 Versorgungsrechtlich geschützte Tatbestände (§ l OEG)

3. l Der Begriff tätlicher Angriff ist so zu interpretieren wie das gleichlautende Tatbestandsmerkmal in §§ 113, 121 Abs. l Nr. l und 227 StGB (siehe insbesondere RGSt 59, 264). Hiernach ist tätlicher Angriff eine mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper eines Menschen zielende Einwirkung, die auf einem Tun oder Unterlassen (vgl. § 13 StGB) beruht. Ein tätlicher Angriff mit gesundheitlicher Schädigung ist strafrechtlich Körperverletzung, Totschlag oder Mord im Sinne der §§ 211, 212, 223 ff StGB. Diese Straftaten können allein oder in Verbindung mit anderen Straftaten begangen sein (z. B. Vergewaltigung, Freiheitsberaubung, Raub im Sinne der §§ 177, 239, 249 ff StGB).

Danach kann ein tätlicher Angriff auch dann gegeben sein, wenn der Täter sich einer Vollstreckung oder Festnahme (vgl. Nr. 3.12 Buchstaben c, d und e) widersetzt.

3.11 Es ist unerheblich, ob der tätliche Angriff dem Geschädigten oder einer anderen Person gegolten hat. Ein personenbezogener Angriff liegt dagegen nicht vor, wenn er ziellos oder gegen eine Sache gerichtet war; in diesen Fällen kann der Tatbestand des § l Abs. 2 Nr. 2 OEG erfüllt sein.

3.12 Rechtswidrig ist ein tätlicher Angriff, wenn ein Rechtfertigungsgrund hierfür nicht gegeben ist. Rechtferti-gun'gsgründe sind insbesondere

a) die Notwehr (§ 32 StGB), /

b) der rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB),

c) die Notrechte aus §§ 229, 859 BGB,

d) die Dienstrechte und -pflichten der Beamten und Soldaten (z. B. Vollstreckungsmaßnahmen, Festnahmen),

e) das Festnahmerecht des Privatmannes nach § 127 Abs. l StPO,

f) das Züchtigungsrecht,

g) die Einwilligung des Geschädigten.

3.13 Bei der Beurteilung der Frage, ob ein rechtswidriger tätlicher Angriff vorsätzlich begangen wurde, sind von der strafgerichtlichen Rechtsprechung zum Be-

griff des Vorsatzes entwickelten Grundsätze zu beachten. Danach ist Vorsatz gegeben, wenn der Angreifer entweder weiß, daß sein Tun oder Unterlassen unmittelbar auf den Körper eines Menschen einwirkt und er dies will oder die unmittelbare Einwirkung auf den Körper eines Menschen für möglich hält und damit einverstanden ist. Auch ein Kind unter 14 Jahren, ein Raüschtäter oder ein Geisteskranker kann vorsätzlich handeln. Ist ein tätlicher ' Angriff vorsätzlich und rechtswidrig begangen, steht Versorgung wegen aller gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen zu, auch wenn der Vorsatz des Angreifers nicht hierauf gerichtet war.

Vorsatz liegt auch dann vor, wenn der Angreifer in der Person des vorsätzlich Angegriffenen irrt. Das gleiche gilt, wenn statt des vorsätzlich Angegriffenen eine andere Person geschädigt wird - z. B. im Falle des fehlgegangenen Schusses - (vgl. 3.11). Ist Vorsatz deshalb nicht gegeben, weil der Angreifer irrtümlich einen Rechtfertigungsgrund (vgl. § 16 StGB) annahm, kommt § l Abs. l Satz 2 OEG zum Zuge. Unter diesen Tatbestand fällt z. B. der Fall, daß der Angreifer glaubt, er werde angegriffen oder noch angegriffen.

3.2 Einem tätlichen Angriff steht die vorsätzliche, rechtswidrige Beibringung von Gift (vgl. § 229 StGB) nach § l Abs. 2 Nr. l OEG gleich. § l Abs. l Satz 2 OEG ist anzuwenden.

3.21 Versorgung nach § l Abs. 2 Nr. 2 OEG kommt in Betracht, wenn ein Verbrechenstatbestand, der mit gemeingefährlichen Mitteln begangene Verbrechen betrifft und Leib und Leben schützt, erfüllt ist. Ferner kommt Versorgung in Betracht, wenn ein Verbrechenstatbestand, der mit gemeingefährlichen Mitteln begangene Verbrechen betrifft, und nicht Leib und Leben schützt, erfüllt ist und hierdurch wenigstens fahrlässig eine Gefahr für Leib und Leben eines anderen herbeigeführt worden ist. Ob die Tat als Verbrechen zu werten ist, richtet sich nach § 12 StGB.

Gemeingefährlich sind solche Mittel, die eine Gefahr für unbestimmt viele Personen mit sich bringen und deren Wirkung der Täter nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Hand hat. Mit gemeingefährlichen Mitteln begangene Verbrechen sind insbesondere

a) die vorsätzliche Brandstiftung (§§ 306-308 StGB),

b) das Herbeiführen einer Kernenergieexplosion (§ 310b StGB),

c) das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion (§311 StGB),

d) der Mißbrauch ionisierender Strahlen (§ 311 a StGB),

e) das Herbeiführen einer Überschwemmung (§§ 312, 313 StGB),

f) gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr (§ 315 Abs. 3 StGB),

g) gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (§ 315b

Abs. 3 StGB),

h) ein Angriff auf den Luftverkehr (§ 316c.StGB), i) die gemeingefährliche Vergiftung (§ 324 StGB).

Eine Gefahr ist durch gemeingefährliche Mittel herbeigeführt, wenn der Täter durch sein Tun oder Unterlassen (vgl. § 13 StGB) die Gefahr für Leib und Leben verursacht hat (vgl. Nr. 4). Die Beurteilung der Frage, ob die Gefahr wenigstens fahrlässig herbeigeführt wurde, richtet 'sich nach den von der strafgerichtlichen Rechtsprechung zum Begriff der Fahrlässigkeit entwik-kelten Grundsätzen. Danach handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, außer acht läßt und infolgedessen die Gefahr für Leib und Leben nicht voraussieht.

3.3 Rechtmäßig ist die Abwehr eines tätlichen Angriffs, wenn Rechtfertigungsgründe im Sinne der Nr. 3.12 vorliegen.

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3.4 Die Anwendung des § l Abs. l und 2 OEG wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß dem Schädiger ein Schuldausschließungsgrund zur Seite 'steht und er deshalb - trotz Rechtswidrigkeit und Vorsatz - nicht bestraft werden kann. Schuldausschließungsgründe sind insbesondere

a) die Schuldunfähigkeit (§§ 19,20 StGB),

b) der entschuldigende Notstand (§ 35 StGB),

c) die Überschreitung der Notwehr (§ 33 StGB),

d) der Verbotsirrtum (§17 StGB).

Kausalität

Hinsichtlich der Frage, ob eine gesundheitliche Schädigung infolge eines versorgungsrechtlich geschützten Tatbestandes eingetreten ist oder eine Gefahr für Leib und Leben durch ein Verbrechen (§ l Abs. 2 Nr. 2 OEG) herbeigeführt ist, gelten die Verwaltungsvorschriften Nr. 2 und 4 zu § l BVG entsprechend. § l Abs. 3 BVG ist nach § l Abs. l OEG entsprechend anzuwenden.

6.1

6.2

5 Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes

5.1 Die Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten entsprechen der Versorgung der Kriegsopfer.

5.11 Ist das Land Kostenträger (vgl. Nr. 8), werden Kapitalabfindungen entsprechend den §§ 72 ff BVG gewährt. Das Rentenkapitalisierungsgesetz - KOV - ist nicht anzuwenden.

5.2 Für die Gewährung von Leistungen in entsprechender Anwendung des § l Abs. 3 Satz 2 BVG behalte ich mir gemäß § l Abs. 7 OEG die Zustimmung vor.

5.21 Der Gewährung von Leistungen an Deutsche in entsprechender Anwendung der §§ 64 Abs. 2, 64b Abs. 2, 64 d Abs. 2, 64 e Abs. l BVG stimme ich nach § l Abs. 7 OEG unter den gleichen Voraussetzungen zu, unter denen der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung seine Zustimmung für die Versorgung der Kriegsopfer allgemein erteilt hat. Ferner erkläre ich mein Einverständnis zur Anwendung der §§ 64 c Abs. 2 Satz 5, 64 c Abs. 5 BVG sowie die Zulassung einer vereinfachten Regelung im Sinne des § 64 f Abs. l BVG.

Entscheidungen in entsprechender Anwendung des § 64 Abs. 2 BVG, die Bürger der DDR und Ausländer betreffen, behalte ich mir gemäß § l Abs. 7 OEG vor.

Hat der Berechtigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes, nimmt die zuständige Behörde zur Klärung, ob und welche besonderen Regelungen für die im Aufenthaltsstaat wohnenden Kriegsopfer bestehen, die Amtshilfe des Versorgungsamtes in Anspruch, das nach der Verordnung über die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung für Berechtigte außerhalb des Gel-tungsbereichs des Grundgesetzes vom 9. Juni 1964 (BGB1.1 S. 349), geändert durch die Verordnung vom 22. Dezember 1976 (BGB1. I S. 362), in Betracht kommt. Die Auslandsversorgungsämter des Landes gewähren den Behörden der anderen Länder entsprechende Amtshilfe. In besonderen Fällen, insbesondere dann, wenn der Berechtigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem Staat hat, in dem weitere Versorgungsberechtigte nicht wohnen, ist mir vor der Entscheidung zu berichten.

5.22 Der Gewährung eines Ausgleichs in entsprechender Anwendung des § 89 BVG stimme ich gemäß § l Abs. 7 OEG unter den gleichen Voraussetzungen zu, unter denen der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung seine Zustimmung für die Versorgung der Kriegsopfer allgemein erteilt hat.

Härten, die sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten selbst ergeben, können nicht ausgeglichen werden (vgl. Nr. 2.1). >

Versagungsgründe (§ 2 OEG)

Ein Versagungsgrund im Sinne des § 2 Abs. l erste Alternative OEG liegt vor, wenn die Ursache der Schädigung gleichwertig sowohl von dem Angreifer als auch von dem Geschädigten oder dem Hinterbliebenen des Geschädigten gesetzt wurde. Für die Beurteilung, ob der Geschädigte oder der Hinterbliebene eines Geschädigten die Schädigung verursacht (§ 2 Abs. l erste Alternative OEG) hat, gilt die Verwaltungsvorschrift Nr. 2 zu § l BVG entsprechend. Eine hiernach zu beachtende Mitursache liegt insbesondere dann vor, wenn der Geschädigte durch sein zumindest fahrlässiges Verhalten den Angriff herausgefordert hat. Bei der Abwägung der Bedingungen, die zu der Schädigung geführt haben, ist das Verhalten des Geschädigten insbesondere nach der Vorhersehbarkeit der Folgen dem Verhalten des Angreifers gegenüberzustellen. Nicht schon jede Unmutsäußerung ist als Herausforderung eines Angriffs zu werten. Auch kann nicht eine Heraus-. forderung zur Versagung führen, die zu der Schwere des Angriffs in keinem Verhältnis steht.

§ 2 Abs. l zweite Alternative OEG erfaßt Fälle, in denen der Geschädigte zwar selbst keine wesentliche . Bedingung für das Eintreten der Schädigung gesetzt hat, aber Versorgungsleistungen auf Kosten der Allgemeinheit gleichwohl nicht gerechtfertigt erscheinen. Eine Entschädigung wäre unbillig, wenn sie dem Zweck des Gesetzes, unschuldigen Opfern zu helfen, widersprechen, im Ergebnis - auch dem Täter zugute kommen oder sozialfeindliches oder sozialschädliches Verhalten honorieren würde. Deshalb kommt eine Versagung der Leistung insbesondere in Betracht bei Personen, die

a) zu dem Angreifer in einer kriminellen Beziehung standen (z. B. als Tatbeteiligter, Bandenmitglied, Rivale oder Rauschgifthändler), es sei denn, daß der Angriff mit einer Lösung dieser Beziehung in Verbindung steht,

b) bei der Begehung einer Straftat angegriffen wurden, auch wenn der Angriff mit der Straftat nicht in ursächlichem Zusammenhang steht,

c) den Angreifer begünstigen,

d) Familienangehörige des Angreifers sind, sofern dieser Nutznießer einer Entschädigungsleistung würde.

Treffen solche Versagungsgründe auf den Geschädigten zu, kommt eine Hinterbliebenenversorgung auch dann nicht in Betracht, wenn in der Person des Hinterbliebenen Versagungsgründe nicht vorliegen. Hinterbliebenenversorgung steht ebenfalls nicht zu, wenn Versagungsgründe in der Person des Hinterbliebenen gegeben sind, mag dem Geschädigten auch Beschädigtenversorgung gewährt worden sein. Leistungen kommen ferner nicht in Betracht, bei Personen, die aus derselben Ursache einen Anspruch auf Versorgung gegen einen anderen Staat besitzen.

Auch im Falle des § 2 Abs. 2 OEG ist der Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Dabei müssen die Erschwerungen hingenommen werden, die den fürsorgerischen Pflichten der Behörde der Kriegsopferversorgung unter Berücksichtigung der in Anspruch genommenen Versorgungsleistungen und der Pflichten der Beteiligten angemessen sind. Um eine Versagung der Leistungen zu verhindern, hat der durch eine einfache Körperverletzung (§ 223 StGB) Geschädigte außer der Strafanzeige einen Strafantrag zu stellen, wenn die Strafverfolgungsbehörde ein Einschreiten von Amts wegen nicht für geboten hält (§ 232 StGB). Dagegen ist ein Geschädigter nicht verpflichtet, ein Privat-Klageverfahren sowie - im Falle einer einfachen Körperverletzung -ein Sühneverfahren (§§ 374,380 StPO) anzustrengen. Von der Möglichkeit, Versorgung nach § 2 Abs. 2 OEG zu versagen, ist stets Gebrauch zu machen, wenn der Geschädigte oder der Hinterbliebene eines Geschädigten für sein Unterlassen keinen triftigen Grund hat und infolge der Unterlassung der Täter

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nicht verfolgt werden kann. Als triftiger Grund sind 8.4

-sämtliche die Willensbildung bestimmenden Umstände anzusehen, die als Motive das Unterlassen des Geschädigten entschuldigen und als berechtigt erscheinen lassen können. Mangelnde Kenntnis über die Person des Täters ist kein triftiger Grund für das Unterlassen einer Strafanzeige. Furcht vor 8.5 Rache kann nur ausnahmsweise als solcher gewerT ter werden, etwa dann, wenn die Erstattung einer Strafanzeige wahrscheinlich die Gefährdung von Gesundheit oder Leben des Geschädigten oder eines Familienangehörigen auslösen würde. Kann der Täter verfolgt werden und ist die Aufklärung des nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten maßgebenden Sachverhalts ohne triftigen Grund durch das Unterlassen des Geschädigten erschwert, ist die Versorgung zu versagen, wenn nicht besondere Gründe ein volle oder teilweise Versorgung gebieten. Sind Versagungsgründe gegeben, geht die Anwendung des § 2 Abs. 2 OEG der Anwendung von §§ 7 Abs. 3 VfG, 66 I SGB vor. Auf die Versagungsmög-lichkeit ist der Leistungsberechtigte entsprechend § 66 Abs. 3 I SGB hinzuweisen.

6.4 Die Beweislast für das Vorliegen von Tatsachen, die zur Versagung der Versorgung verpflichten oder berechtigen, fällt den Behörden der Kriegsopferversor-

- gung zu.

7 Zusammentreffen von Ansprüchen.(§ 3 OEG)

7.1 Sind für die Feststellung der in § 3 Abs. l OEG genannten Ansprüche mehrere Versorgungsämter des Landes zuständig, setzt dasjenige Versorgungsamt die einheitliche Rente fest und zahlt sie aus, das für die Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach einem das Bundesversorgungsgesetz für anwendbar erklärenden Gesetz zuständig ist. Ist auch das Versorgungsamt eines anderen Landes zuständig, - ist mit diesem ein Einvernehmen über eine entsprechende Zuständigkeitsregelung herbeizuführen. Kommt das Einvernehmen auch nach Einschaltung der Landesversorgungs-ämter nicht zustande oder treffen mehrere Ansprüche allein nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten zusammen, für die Versorgungsämter verschiedener Länder zuständig sind, ist mir zu berichten.

7.2 Das für die Festsetzung der einheitlichen Rente zuständige Versorgungsamt ist an die Entscheidung des für den Anspruch nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten zuständigen Versorgungsamts gebunden.

8 Kostenträger (§ 4 OEG)

8.1 Das Land ist gemäß § 4 Abs. l Satz l OEG zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, wenn der Ort der Schädigung im Lande liegt. Dieser ist unabhängig davon, von welchem Ort der tätliche Angriff oder seine Abwehr ausgegangen ist, nach dem Ort zu bestimmen, an dem der Geschädigte die Schädigung erlitten hat.

8.2 Der Fall des § 4 Abs. l Satz 2 OEG, daß Feststellungen über den Ort der Schädigung nicht möglich sind, kann insbesondere dann gegeben sein, wenn die Schädigung im Grenzgebiet eingetreten und nicht eindeutig zu lokalisieren ist. Voraussetzung für die Versorgung ist, daß die Schädigung im Geltungsbereich des Grundgesetzes eingetreten ist (vgl. Nr. 2.2). Tatzeit ist die Zeit, zu der die Schädigung eingetreten ist.

8.3 Kann in der Frage, welches Land Kostenträger ist, auch nach Einschaltung der Landesversorgungsämter keinEinvernehmen erzielt werden, ist mir zu berichten; das gleiche gilt für Fälle mit einem Sachverhalt, für den eine. Regelung über den Kostenträger nicht besteht.

8.6

Ist der Bund Kostenträger, werden die Kosten bei den in Betracht kommenden Buchüngsstellen des Bundeshaushalts, ist das Land der Kostenträger, werden die Kosten bei der in Betracht kommenden Buchungsstelle des Landeshaushalts nachgewiesen.

Geldleistungen im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 2 OEG sind:

Mutterschaftsgeld (§ 10 Abs. 6 BVG) Zuschuß zum Zahnersatz (§ 12 Abs. 2 BVG) Führzulage (§ 14 BVG)

Pauschbetrag als Ersatz für Kleider- und Wäscheverschleiß (§ 15 BVG)

Übergangsgeld (§§ 16 ff, § 18 Abs. 3 BVG) Beihilfe (§ 17 BVG)

Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (§ 22 BVG)

Reisekosten und Ersatz für entgangenen Arbeitsverdienst (§§ 24 und 64 a Abs. 5 BVG) Berufsschadensausgleich (§ 30 Abs. 3-6 BVG) Grundrenten für Beschädigte, Witwen und Waisen (§ 31 Abs. l, §§ 40,46 BVG)

Schwerstbeschädigtenzulage (§ 31 Abs. 5 BVG) , Ausgleichsrenten für Beschädigte, Witwen und Waisen (§§ 32, 33, 34,41 und 47 BVG) Ehegattenzuschlag (§ 33 a BVG) Kinderzuschlag (§ 33 b BVG) Pflegezulage (§ 35 BVG) Bestattungsgeld (§§ 36 und 53 BVG) Sterbegeld (§ 37 BVG) Schadensausgleich (§ 40 a BVG) Heiratsabfindung (§ 44 Abs. l BVG) Witwen- und Waisenbeihilfe (§ 48 BVG) Elternrente (§ 51 BVG)

Zuwehdung anstelle vpn Mutterschaftsgeld, Zuschuß zum Zahnersatz, Übergangsgeld und Beihilfe (§64 a Abs. 3 BVG) Kapitalabfindung (§§ 72 ff. BVG)

Für die Frage, welcher Leistungsträger gemäß § 4 Abs. 3 OEG die durch das Hinzutreten der Schädigung verursachten Kosten übernimmt,' kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die weitere Schädigung - die auch in der Verschlimmerung von Schädigungsfolgen liegen kann - eingetreten ist.

Übergang von Schadensersatzansprüchen (§ 5 OEG)

In allen Fällen sind die Antragsteller darüber aufzuklären, daß sie unter Umständen Ansprüche auf Schadensersatz (z. B. nach §§ 823 ff BGB) haben. Ferner ist in allen Fällen entsprechend der Verwaltungsvorschrift Nr. 7 zu § 81 a BVG zu verfahren.

Zuständigkeit (§ 6 OEG)

Die für die Durchführung des Bundesversorgungsge-setzes zuständigen Behörden des Landes sind zuständig in den Fällen der Nm. 8.1 und 8.2, und zwar auch dann, wenn der Geschädigte oder der Hinterbliebene eines Geschädigten seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Lande hat. Auch in den Fällen des § 6 Abs. l Satz 2 zweiter Halbsatz OEG bleibt die Zuständigkeit der Behörden des Landes bestehen, .wenn der Geschädigte oder der Hinterbliebene eines Geschädigten seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in ein anderes Bundesland oder in einen Ort außerhalb des Bundesgebietes verlegt.

Nr. 8.3 gilt entsprechend. § 43 Abs. l I SGB ist anzuwenden.

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11

Verfahren

11.1 Die Aufklärung des Sachverhalts hinsichtlich des schädigenden Vorgangs im Sinne des § l Abs. l und 2 OEG, der gesundheitlichen Schädigung und der Versagungs-gründe geschieht in der Regel durch Auswertung der Ermittlungsergebnisse der Strafverfolgungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft). Eigene Ermittlungen stellen die Behörden der Kriegsopferversorgung dann an,

a) wenn Strafverfolgungsbehörden mit der Sache nicht befaßt waren und auch nicht zu erwarten ist, daß sie in absehbarer Zeit tätig werden,

b) wenn die von den Strafverfolgungsbehörden angestellten Ermittlungen für die Beurteilung nach §§1, 2 OEG nicht ausreichen und auch mit weiteren Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden nicht zu rechnen ist - etwa weil die versorgungsrechtlich maßgebenden Tatbestände strafrechtlich ohne Bedeutung sind -,

c) wenn besondere Gründe, wie z. B. eine ungewöhnlich lange Dauer der Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden, es gebieten, diese nicht abzuwarten.

11.2 Die Entscheidung über den Anspruch auf Versorgung ist grundsätzlich unabhängig davon zu treffen, ob die Strafverfolgungsbehörden ein Ermittlungsverfahren eingeleitet oder Anklage erhoben haben, das Haupt-verfahren eröffnet oder eine Verurteilung erfolgt ist. Die Entscheidung über die Versorgung ist unabhängig von dem Stand des Strafverfahrens mit dem Vorrang zu treffen, der nach der besonderen Lage des Geschädigten geboten ist. Zur Erreichung dieses Zieles ist auch von der Möglichkeit, Vorbehaltsbescheide nach § 22 Abs. 4 VfG zu erlassen oder Entscheidungen entsprechend § 10 Abs. 8 BVG zu treffen, Gebrauch zu machen; eine vorläufige Entscheidung darf nicht ergehen, wenn und soweit nach dem Ergebnis der Ermittlungen über den Anspruch oder einen Teil des Anspruchs endgültig entschieden werden kann.

11.21 Gemäß § 6 Abs. 3 OEG ist zwar auch § 15 VfG grundsätzlich anzuwenden. Die Voraussetzung, daß Unterlagen über die mit der Schädigung in Zusammenhang stehenden Tatsachen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, wird aber in der Regel nicht vorliegen, weil als Unterlagen in diesem Sinne zu werten sind insbesondere

a) die Aufzeichnungen über die Erklärungen eines Zeugen,

b) die Aufzeichnungen über die Erklärungen des Täters,

c) die Unterlagen der Strafverfolgungsbehörden 8302 und der Strafgerichte auch dann, wenn die UvFUfc Ermittlungen dieser Stellen ohne Erfolg waren.

11.3 Obwohl für die Entscheidung über die Versorgung eine Bindung an das Ergebnis des Strafverfahrens nicht besteht, wird über die Versorgung häufig nicht vor der Anklageerhebung oder der Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft endgültig entschieden werden können. Eine vorläufige Entscheidung wird dagegen bereits erwogen werden können, wenn die Polizei ihren Schlußbericht erstattet hat.

Der Ausgang eines mit der Schädigung in Zusammenhang stehenden strafgerichtlichen Verfahrens ist nur dann abzuwarten, wenn dies aus besonderen Gründen geboten ist.

11.31 Soweit nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten die gleichen Tatsachen maßgebend sind wie nach dem Strafgesetzbuch, ist bei der Entscheidung in der Regel von den Tatsachen auszugehen, die die Strafverfolgungsbehörde seinen Maßnahmen - oder das Gericht seinem Urteil - zugrunde gelegt hat. Dabei sind in der Frage der Beweislast die zwischen dem sozialen Entschädigungsrecht und dem Strafrecht bestehenden Unterschiede zu berücksichtigen.

11.4 Strafgerichtliche Urteile, die im Zusammenhang mit einer Schädigung im Sinne des § l OEG ergangen sind, sind auch dann beizuziehen und versorgungsrechtlich auszuwerten, wenn Versorgung bereits zuerkannt ist.

11.5 Ist die Versorgung als unbillig nach § 2 Abs. l OEG oder wegen fehlender Mitwirkung nach § 2 Abs. 2 OEG versagt worden, kann ohne die Voraussetzungen einer Neufeststellung des Versorgungsanspruchs oder einer Berichtigung der versagende Bescheid nach allgemeinem Verwaltungsrecht aufgehoben und neu entschieden werden (vgl. § 49 Abs. l VwVfG. NW. - GV. NW. S. 438/SGV. NW. 2010), wenn nach erneuter Prüfung Versagungsgründe derzeit nicht gegeben sind.

11.6 Ratsuchendesind durch ein Merkblatt (Anlage) Anlage über die Voraussetzungen einer Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten aufzuklären.

Das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen in Münster stellt das Merkblatt auf Anforderung auch anderen Stellen als den Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung zur Verfügung.


Anlagen: