Gesetz- und Verordnungsblatt (GV. NRW.)
Ausgabe 2022 Nr. 8a vom 25.2.2022 Seite 145a bis 156a

Bekanntmachung Pandemische Leitlinien gemäß § 3 Absatz 2 Satz 1 Infektionsschutz- und Befugnisgesetz
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Bekanntmachung Pandemische Leitlinien gemäß § 3 Absatz 2 Satz 1 Infektionsschutz- und Befugnisgesetz

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Bekanntmachung
Pandemische Leitlinien gemäß § 3 Absatz 2 Satz 1 Infektionsschutz- und Befugnisgesetz

Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat in seiner 162. Sitzung am 17. Februar 2022 gemäß § 3 Absatz 2 Satz 1 Infektionsschutz- und Befugnisgesetz vom 25. März 2021 (GV. NRW. S. 311) Pandemische Leitlinien beschlossen.

Der Beschluss wird nachfolgend bekannt gemacht.

Düsseldorf, 22. Februar 2022

Ministerpräsident
des Landes Nordrhein-Westfalen

Hendrik  W ü s t

 

Pandemische Leitlinien
gemäß § 3 Absatz 2 Satz 1 Infektionsschutz- und Befugnisgesetz

Der Landtag fasst folgende pandemische Leitlinien gemäß § 3 Absatz 2 Satz 1 Infektionsschutz- und Befugnisgesetz vom 25. März 2021 (GV. NRW S. 311 bis 314), die grundsätzlich bis zum 7. April 2022 befristet sind und im Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt zu machen sind:

- Die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger muss gestärkt, gefördert und eingebunden werden.

Es gilt als gesichert, dass das Coronavirus Sars-CoV-2 – in seinen verschiedenen Varianten – nicht mehr gänzlich eliminiert werden kann, wie es beispielsweise mit dem Pocken-Virus gelungen ist. Corona ist daher – wie viele andere Erreger auch – Teil unseres Lebens geworden. Dies bedeutet, dass im weiteren pandemischen oder endemischen Verlauf Wachsamkeit, Achtsamkeit und Rücksichtnahme weiterhin Geltung haben, aber der Staat nicht mehr Schutzvorschriften für fast jeden Lebensbereich erlassen muss, um Infektionsrisiken zu minimieren. Im Zusammenhang mit dem Immunisierungsgrad der Bevölkerung und der geringeren Gefährlichkeit der Omikron-Variante in Bezug auf schwere Krankheitsverläufe ist das Ziel, Infektionen per se zu verhindern, angesichts der leichten Übertragbarkeit deutlich schwerer zu erreichen. Es ist festzustellen, dass bei einem Großteil der Bevölkerung mittlerweile ein robustes Wissen um das individuelle Infektionsrisiko vorhanden ist. Insbesondere ist festzustellen, dass Ansteckungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum in hohem Maße erkannt und eigenverantwortlich entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen werden. Die AHA-L-Regeln sind akzeptiert und werden voraussichtlich auch ohne explizite Regelungen fortgeführt werden. In der Konsequenz sollte daher der Regelungskanon entschlackt und erneut auf ein notwendiges Maß zurückgeführt werden, zu denen auch Basisregelungen zählen können.

- Das Impfen ist der entscheidende Schritt heraus aus der Pandemie.

Das Impfen von weiten Teilen der Bevölkerung ist der entscheidende Schritt, um mit einer verbreiteten Immunität den Übergang aus der Pandemie in die endemische Phase zu schaffen. Die Wirkung der Impfung kann nicht nur in Nordrhein-Westfalen oder Deutschland, sondern in der ganzen Welt beobachtet werden.

Hospitalisierungs-, Intensivbelegungs- und Sterberaten sind bei geimpften und insbesondere bei dreifach geimpften – und gleichgestellten – Personen deutlich niedriger als bei Ungeimpften. Der Anspruch an die Impfung war es aber nie, jegliche Infektion zu unterbinden. Dennoch muss für vollständig geimpfte Personen gelten, dass sie weitestgehend restriktionsfrei ihr Leben führen können. Ansonsten verlöre auch die Impfung ihren Anreiz zum Weg zurück in die Normalität. Nach wie vor ist allerdings festzustellen, dass die Impfkampagne in Teilen ins Stocken geraten ist, obschon Impfstoff für alle Bürgerinnen und Bürger ab 5 Jahren zur Verfügung steht. Der alsbald vorhandene Totimpfstoff könnte eine Chance bieten, auch Bevölkerungsgruppen, die den bisherigen Impfstoffen skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, zu erreichen. Daher ist das Impfprogramm mit hoher Intensität fortzusetzen. Es ist daher begrüßenswert, dass die Finanzierung der vorhandenen Impfstruktur bis zum Jahresende gesichert wird. Beim Impfen sollten weiterhin auch eher unkonventionelle Wege beschritten werden, die an die jeweilige Lage in den einzelnen Kommunen und die Ansprache von Zielgruppen, die bisher noch nicht so gut erreicht wurden, angepasst werden müssen. Beim Fortgang der Impfkampagne, die beständig auf ihren Erfolg hin überprüft werden sollte, muss sichergestellt sein, dass das Impfen als solches und nicht die Verfahren und die damit verbundene Bürokratie im Mittelpunkt stehen. Eventuell auch zukünftig nötige weitere Auffrischungsimpfungen – z.B. auch um auf andere Virusvarianten zu reagieren – müssen dauerhaft in bestehende, funktionierende Strukturen – beispielsweise in Analogie zu den Grippeschutzimpfungen – eingebettet werden. Außerdem ist es erforderlich, dass vielfältige Testmöglichkeiten flächendeckend bestehen bleiben und Geimpften wie Ungeimpften offen stehen.

- Neues Wissen und Innovationen müssen gefördert und geschaffen, Erfahrung und Erkenntnisse müssen genutzt werden.

Am 26. Februar 2020 wurde die erste Corona-Infektion in Nordrhein-Westfalen bestätigt. Seit diesem Zeitpunkt hat sich unser aller Alltag fundamental verändert. Die Bürgerinnen und Bürger mussten lernen und haben gelernt, mit dem Virus zu leben. Expertinnen und Experten aus den verschiedensten wissenschaftlichen Fachrichtungen haben seitdem zahlreiche Forschungen und Untersuchungen durchgeführt. Diese gewonnenen Erkenntnisse gilt es zu bündeln, auszubauen und so zu nutzen, dass die Corona-Pandemie unter Kontrolle gehalten wird und eine Aussicht besteht, sie final zu beenden. Zudem können die gewonnenen Erkenntnisse dazu beitragen, in potentiell immer möglichen weiteren Pandemien zu einer effektiveren Reaktion zu kommen.

Die Entwicklung neuer medizinischer Behandlungsmethoden und Medikamente ist verstärkt zu fördern. Daneben ist auf die Fortentwicklung und Optimierung der vorhandenen Impfstoffe – v.a. auch mit Blick auf Virusmutationen – besonders wert zu legen. Es gilt, aus den vielfältigen positiven aber auch negativen Erfahrungen zu lernen und noch mehr praktische Rückschlüsse auf den Lebensalltag zu ziehen. Zudem ist es erforderlich, das Wissen über das Virus und seine Verbreitung weiter zu vertiefen. Hierzu setzen wir vor allem auf die vielfältige Wissenschaftslandschaft in unserem Bundesland. Die Pandemie darf hierzulande nicht länger eine Krise von fehlenden Daten darstellen. Wir müssen dazu kommen, vorhandenes Datenmaterial stärker zusammenzuführen und systematisch auszuwerten. So sind wir für zukünftige Herausforderungen besser gewappnet. Gleichzeitig können auch andere Länder von unserem Wissen profitieren. Hierzu hat der Landtag Nordrhein-Westfalen für den Haushalt 2022 entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt. Der Landtag erwartet von der Landesregierung, dass die zur Verfügung gestellten Mittel schnellstmöglich eingesetzt werden.

Um der Bevölkerung Hinweise zum angemessenen Umgang mit dem Virus – auch nach dem Ende notwendiger Schutzmaßnahmen – geben zu können, soll das Corona-Landesportal umgestaltet werden und zukünftig auch – zentral platziert – wissenschaftliche Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen zum Umgang mit dem Virus enthalten. Es soll als seriöse Informationsquelle einen Überblick über die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse liefern, Handlungsempfehlungen geben und so die Bevölkerung unterstützen, eine informationsbasierte und angemessene Verhaltensweise im Umgang mit dem Virus fortzuführen. Dabei sind die dargestellten Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen laufend zu aktualisieren und mit Quellenangaben zu versehen, sodass interessierte Bürgerinnen und Bürger sich vertieft mit den Erkenntnissen beschäftigen und die Notwendigkeit der Empfehlungen nachvollziehen können. Ferner sind auch bildliche Darstellungen (bzw. Schaubilder) und die Darstellung (jedenfalls der Handlungsempfehlungen) in einfacher Sprache und Übersetzungen in Fremdsprachen (Englisch, Türkisch, Arabisch, Russisch, Polnisch, Rumänisch, Italienisch) bereitzustellen. Hierbei ist bei dem Einsatz von Ressourcen ein sachgerechter Ausgleich zwischen akuter Pandemiebekämpfung und zukunftsgewandten Informationsbemühungen zu finden.

- Die Bildungschancen für Kinder und Jugendliche müssen als Lebens- und Zukunftschancen unverändert in besonderer Weise gesichert werden.

Das Offenhalten der Kindertageseinrichtungen, Schulen und Hochschulen hat weiterhin oberste Priorität. Kindern, Jugendlichen und auch jungen Erwachsenen muss der Zugang zu Bildung weiterhin ermöglicht werden, um das für sie so wichtige soziale Miteinander herbeizuführen und dem Recht auf Teilhabe gerecht zu werden. Chancengerechtigkeit ist am besten im Format des Präsenzlernens herzustellen. Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen genießen auch im Kontext der weiteren Entwicklung der Corona-Pandemie höchste Priorität.

- Den Blick nach vorne richten: Entwicklung einer Exit-Strategie

Bei der Bekämpfung der Pandemie gehört selbstverständlich die Entwicklung einer Exit-Strategie unumgänglich dazu. Dieser Aspekt ist daher bereits seit Anfang September 2021 Teil des Leitlinien-Kataloges. Diese muss sich an dem Leitgedanken orientieren, dass die Impfung der entscheidende Weg aus der Pandemie ist. In der Abwägung zwischen Infektionsschutz und Sicherung der Grundrechtsausübung muss dann auch Bedeutung besitzen, dass der Staat nicht alle Bürgerinnen und Bürger vor jedem Lebensrisiko zu schützen vermag. Die Exit-Strategie muss den Bürgerinnen und Bürgern darlegen, an welchem Punkt und zu welchen Kriterien die Selbstverantwortung gegenüber staatlichem Handeln in den Vordergrund rückt. Auch trotz der zurzeit noch hohen Infektionszahlen ist der Zeitpunkt für die Darstellung einer Zukunftsperspektive bereits gekommen.

Ein Verzicht auf alle Schutzmaßnahmen und damit die Rückkehr zu einem Leben wie vor Beginn der Corona-Pandemie ist das erklärte Ziel der Corona-Politik. Damit kann dann begonnen werden, wenn sich eine Entkopplung von Infektionszahlen und schweren Krankheitsverläufen, wie in vielen Ländern, die früher von der Omikron-Welle getroffen wurden, auch in Deutschland bestätigt. Eine solche Entkopplung zeigt sich auch dadurch, dass nicht zu viele Infizierte, Erkrankte oder sich in Quarantäne befindende Personen das Gesundheitssystem oder die kritische Infrastruktur gefährden.

Zu einer Exit-Strategie gehört aber gleichermaßen auch eine Analyse, welche Schäden aufgetreten sind und welche Folgen die Pandemie nach sich zieht. Denn nur durch diese saubere Aufarbeitung wird es möglich, die Schäden zu beheben und vor allem langfristig die richtigen Lehren und Schlüsse aus den gemachten Erfahrungen zu ziehen. Zudem muss dieser Betrachtung das Wissen darum inhärent sein, dass es auch für die Zukunft nicht auszuschließen ist, dass es zu weiteren Pandemien kommt. Es wäre aber fatal, wenn man aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie nichts gelernt hätte.

Der Landtag nimmt zur Kenntnis, dass die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder in ihrer Beratung mit dem Bundeskanzler vom 24. Januar den Prozess zur Erarbeitung einer Exit-Strategie auf ihre Agenda gesetzt haben. Der Vorsitz Nordrhein-Westfalens in der MPK bietet die Möglichkeit, die landesinterne Diskussion mit der Beratung auf Bund-Länder-Ebene in einen Kontext zu stellen.

GV. NRW. 2022 S. 153a