Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2022 Nr. 35 vom 20.10.2022 Seite 807 bis 816
Überprüfung der Unterkünfte von Beschäftigten |
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Überprüfung der Unterkünfte von Beschäftigten
232
Überprüfung der Unterkünfte von Beschäftigten
Gemeinsamer
Runderlass
des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung und
des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Vom 12. Sptember 2022
1
Hintergrund und Ziel des Erlasses
Zur Sicherung menschenwürdiger Arbeits- und Wohnverhältnisse von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, selbständigen Werkvertragsnehmerinnen und
-nehmern (im Folgenden Beschäftigte) wurden mehrere Vorschriften erlassen.
In der Arbeitsstättenverordnung vom 12. August 2004 (BGBl. I S. 2719), die
zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3334)
geändert worden ist, im Folgenden ArbStättV, wurden die Anforderungen an
Gemeinschaftsunterkünfte erweitert.
Im Wohnraumstärkungsgesetz vom 23. Juni 2021 (GV. NRW. S. 765), im Folgenden
WohnStG, wurden Vorschriften zu Unterkünften neu aufgenommen.
Die Verordnung nach dem Wohnraumstärkungsgesetz vom 19. November 2021 (GV. NRW. S. 1432), im Folgenden WohnStVO, verpflichtet die Betreiber von Unterkünften
zur Anzeige der Unterkunft und Vorlage eines Betriebskonzepts.
Ziel der folgenden Bestimmungen ist es, die behördliche Zusammenarbeit bei der
Überprüfung von Räumen und Gebäuden, die als Wohnungen oder Unterkünfte für
Beschäftigte betrieben und genutzt werden, zu regeln und die jeweiligen
Zuständigkeiten und Befugnisse der Behörden darzustellen, um Missstände
effektiv zu beseitigen.
Zuständig für die Überprüfung der Unterkünfte sind die Gemeinden und die Staatlichen
Arbeitsschutzbehörden. Die Gemeinden führen die Kontrollen in ihrer Funktion
der Wohnungsaufsicht durch. Die unteren Bauaufsichtsbehörden werden ergänzend
tätig.
2
Zuständigkeiten und Befugnisse im Hinblick auf die Form der Unterbringung
2.1
Unterbringung von Beschäftigten in Wohnungen und Wohngebäuden
Die Gemeinden
haben nach den Bestimmungen des WohnStG auf die Erfüllung von
Mindestanforderungen und auf die Instandsetzung und die ordnungsgemäße Nutzung
von Wohnräumen und Unterkünften hinzuwirken und die dazu erforderlichen
Maßnahmen zu treffen.
Unter Wohnraum im Sinne des WohnStG ist jeder einzelne Raum zu verstehen, der
zu Wohnzwecken objektiv geeignet und subjektiv bestimmt ist, § 3 Absatz 1
WohnStG.
Ein Raum ist objektiv für Wohnzwecke geeignet, wenn er zum Zeitpunkt seiner
Errichtung dem üblichen durchschnittlichen baulichen Standard entspricht und
nach seinem Zustand und seiner Ausstattung bewohnbar ist. Im Hinblick auf die
subjektive Bestimmung zu Wohnzwecken kommt es maßgeblich auf die Widmung in der
Baugenehmigung an; sollte diese fehlen, wird auf die Bestimmung durch die
Verfügungsberechtigten zum Zeitpunkt der Errichtung abgestellt.
Die Überprüfung von Wohnraum, in dem Beschäftigte wohnen, erfolgt nach den
allgemeinen Regelungen zur Wohnungsaufsicht und daraus sich ergebender
Kompetenzen.
Liegt ein Verstoß gegen die Vorgaben des WohnStG vor, stehen der Gemeinde
folgende Anordnungsbefugnisse zu:
a) Anordnung zur Erfüllung der Mindestanforderungen, § 4 Absatz 1 Nummer 1
WohnStG,
b) Anordnung einer Instandsetzungsmaßnahme, § 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1
WohnStG,
c) Erklärung der Unbewohnbarkeit, § 9 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 2 Satz 1
WohnStG,
d) Anordnung zur
ordnungsgemäßen Belegung, § 10 Absatz 3 Satz 1 WohnStG und
e) Anordnung der ordnungsgemäßen Nutzung, § 11 Absatz 2 Satz 1 WohnStG.
2.2
Überprüfung von Wohnraum im Hinblick auf die Überschreitung der Wohnnutzung
Nach den von der
Rechtsprechung entwickelten Kriterien zeichnet sich eine Wohnnutzung durch eine
auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und
des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus
(BVerwG, Beschluss vom 25.03.1996 - 4 B 302/95, juris Rn. 12; BVerwG, Beschluss
vom 25.03.2004 - 4 B 15/04, juris Rn. 4; BVerwG, Beschluss vom 20.12.2016 - 4 B
49/16, juris Rn. 7; BVerwG, Urteil vom 18.10.2017 - 4 C 5/16, juris Rn. 17).
Ergänzend ist die Begrifflichkeit der Unterkunft als Heimstätte eingeführt
worden (BVerwG, Beschluss vom 20.12.2016 - 4 B 49/16; BVerwG, Urteil vom
18.10.2017 - 4 C 5/16).
Sind die Grenzen des Wohngebrauchs erkennbar
überschritten, dann kann eine Nutzungsuntersagung nach § 82 Absatz 1 Satz 2
BauO NRW 2018 vom 21. Juli 2018 (GV. NRW. S. 421) ausgesprochen werden. Dies
kann mit der Räumung des Wohnraums verbunden werden. Das Gebäude oder die
Wohnung kann versiegelt werden. Der Wohnraum kann weiter genutzt werden, wenn
dies innerhalb des von der Baugenehmigung gesetzten Rahmens erfolgt oder eine
erforderliche Nutzungsänderungsgenehmigung erteilt wird.
In Abgrenzung hierzu kann eine Unbewohnbarkeitserklärung nach § 9 Absatz 1
Nummer 1 WohnStG nur erfolgen, wenn der Wohnraum Ausstattungsdefizite oder
Instandsetzungsmängel aufweist und deswegen gesundheitliche Schäden für die
Beschäftigten zu befürchten sind. Die Unbewohnbarkeitserklärung ist mit der
Anordnung der Räumung an die Beschäftigten zu verbinden. Die
Verfügungsberechtigten sind zur Bereitstellung von Ersatzwohnraum verpflichtet,
soweit die Beschäftigten sich nicht mit Wohnraum versorgt haben. Bleiben
Verfügungsberechtigte untätig, kann die Gemeinde die Unterbringung der
Beschäftigten im Rahmen der Ersatzvornahme übernehmen und Verfügungsberechtigte
zur Kostenerstattung heranziehen.
In der Praxis hat sich eine gemeinsame Überprüfung des Wohnraums durch die
untere Bauaufsichtsbehörde und das Wohnungsaufsichtsamt bewährt.
2.3
Unterbringung von Beschäftigten in Unterkünften
2.3.1
Unterkünfte im Sinne des Wohnraumstärkungsgesetzes
§ 3 Absatz 3
WohnStG definiert eine Unterkunft als eine bauliche Anlage, die an Beschäftigte
zu Wohnzwecken in der Freizeit vermietet oder überlassen wird, bei der es sich
nicht um Wohnraum handelt. Hierbei können auch Beherbergungsstätten und Heime
als Unterkünfte zählen, wenn die tatsächliche Nutzung dies erkennen lässt. Es
ist nicht entscheidend, unter welcher Bezeichnung eine Beherbergungsstätte nach
außen auftritt.
Abweichend hiervon gelten Gemeinschaftsunterkünfte, für die eine Verpflichtung
eines Arbeitgebers nach der ArbStättV besteht, nicht als Unterkünfte im Sinne
des WohnStG.
Um die Anforderungen für Unterkünfte näher zu bestimmen, werden in § 7 Absatz 2
Satz 2 WohnStG die §§ 3 und 3a sowie Nummer 4.4 des Anhangs der ArbStättV sowie
die Technischen Regeln für Arbeitsstätten – Unterkünfte – ASR A4.4 vom 10. Juni
2010 (GMBl. S. 751) in der jeweils geltenden Fassung, im Folgenden ASR A4.4
Unterkünfte, für entsprechend anwendbar erklärt. Damit gelten in diesen Fällen
dieselben Anforderungen wie für den Staatlichen Arbeitsschutz.
Liegt ein Verstoß gegen die Vorgaben des WohnStG vor, stehen der Gemeinde
folgende Anordnungsbefugnisse zu:
a) Anordnung zur Erfüllung der Mindestanforderungen, § 4 Absatz 1 Nummer 2
WohnStG,
b) Anordnung einer Instandsetzungsmaßnahme, § 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2
WohnStG,
c) Erklärung der Unbewohnbarkeit, § 9 Absatz 1 Nummer 2 und Absatz 2 Satz 2
WohnStG,
d) Anordnung zur ordnungsgemäßen Belegung, § 10 Absatz 3 Satz 1 WohnStG und
e) Anordnung der ordnungsgemäßen Nutzung, § 11 Absatz 2 Satz 1 WohnStG.
Gemäß § 7 Absatz 3 WohnStG haben Verfügungsberechtigte die Einrichtung einer
Unterkunft außerhalb eines Betriebsgeländes vor der Inbetriebnahme der Gemeinde
anzuzeigen. Zugleich haben sie ein Betriebskonzept vorzulegen, in dem eine
ständige Ansprechperson benannt werden muss. Die Einzelheiten sind in der
WohnStVO geregelt.
Zusätzlich zu den im WohnStG genannten Befugnissen obliegt den Gemeinden die
Entgegennahme der Anzeigen der Betreiber der Unterkünfte und die Überprüfung
der in der WohnStVO genannten Vorgaben.
Der Betrieb der Unterkunft bedarf keiner Genehmigung nach dem WohnStG oder der
WohnStVO. Andere Genehmigungsanforderungen bleiben unberührt.
Die Angaben zur Liegenschaft können die Gemeinden der unteren
Bauaufsichtsbehörde im Hinblick auf eine baurechtliche Überprüfung vorlegen
beziehungsweise diese in eine Überprüfung der Unterkunft einbinden.
Ergeben sich Hinweise, dass die Beschäftigten auf Veranlassung eines
Arbeitgebers untergebracht worden sind, haben die Gemeinden die Angaben zum
Betrieb der Unterkunft gemäß § 22 Absatz 2 WohnStG an die Staatlichen
Arbeitsschutzbehörden weiterzugeben.
2.3.2
Gemeinschaftsunterkünfte im Bereich des Staatlichen Arbeitsschutzes
Gemeinschaftsunterkünfte
im Zuständigkeitsbereich der Staatlichen Arbeitsschutzverwaltung sind gemäß § 2
Absatz 8 der ArbStättV Unterkünfte innerhalb oder außerhalb des Geländes eines
Betriebes oder einer Baustelle, die
1. den Beschäftigten durch den Arbeitgeber oder auf dessen Veranlassung durch
Dritte entgeltlich oder unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden und
2. von mehreren Beschäftigten und insgesamt von mindestens vier Personen
gemeinschaftlich genutzt werden.
2.3.2
Anforderungen an Gemeinschaftsunterkünfte gemäß Arbeitsstättenverordnung
Für eine
Gemeinschaftsunterkunft im Sinne der ArbStättV hat der Arbeitgeber eine
Gefährdungsbeurteilung nach § 3 ArbStättV zu erstellen und vor
Zurverfügungstellung der Gemeinschaftsunterkunft zu dokumentieren.
Die grundsätzlichen Anforderungen an die Sicherheit und den Gesundheitsschutz
beim Einrichten und Betreiben der Gemeinschaftsunterkunft nach § 3a ArbStättV
hat der Arbeitgeber sicherzustellen.
Unterkünfte müssen entsprechend ihrer Belegungszahl und der Dauer der
Unterbringung ausgestattet sein mit Wohn- und Schlafbereich (Betten, Schränke,
Tische, Stühle), Essbereich und Sanitäreinrichtungen. Wird die Unterkunft von
Männern und Frauen gemeinsam genutzt, ist dies bei der Zuteilung der Räume zu
berücksichtigen.
Der Arbeitgeber hat die Unterbringung von Beschäftigten zu dokumentieren. In
der Dokumentation sind die Adressen der Gemeinschaftsunterkünfte, die
Unterbringungskapazitäten der einzelnen Gemeinschaftsunterkunft, die Zuordnung
der untergebrachten Beschäftigten zu den Gemeinschaftsunterkünften sowie der
zugehörige Zeitraum der Unterbringung aufzuzeichnen. Die Dokumentation muss ab
Beginn der Bereitstellung der Unterkunft am Ort der Leistungserbringung, also
dem Arbeitsort, verfügbar sein.
In der Technischen Regel für Arbeitsstätten ASR A4.4 Unterkünfte sind konkrete
Anforderungen an die Gestaltung, Ausstattung und das Betreiben von Unterkünften
formuliert. Die ASR A4.4 Unterkünfte konkretisiert die Zielvorgaben der
ArbStättV.
Sind die vorgenannten Anforderungen bzw. Vorgaben der ArbStättV nicht
umgesetzt, bestehen für die Staatliche Arbeitsschutzverwaltung die
Anordnungsbefugnis nach § 22 Absatz 3 des Arbeitsschutzgesetzes vom 7.
August 1996 (BGBl. I S. 1246), in der jeweils geltenden Fassung sowie die
Ahndungsmöglichkeit bei Verstößen gegen §§ 3 und 3a der ArbStättV.
Aus der Rechtssystematik des Staatlichen Arbeitsschutzrechtes ist für die
Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen in Gemeinschaftsunterkünften im Sinne
der Arbeitsstättenverordnung der Arbeitgeber verantwortlich.
Alle Maßnahmen des Staatlichen Arbeitsschutzes bei Gemeinschaftsunterkünften richten
sich daher an den Arbeitgeber, unabhängig von der Tatsache, ob der Arbeitgeber
Eigentümer ist oder ob der Arbeitgeber über Verfügungsbefugnisse der Unterkunft
verfügt.
Bei Unterkünften innerhalb des Geländes eines Betriebes oder einer Baustelle
ist die Zuständigkeit des Arbeitsschutzes schon ab einem Beschäftigtem gegeben.
2.3.4
Überschneidung der Zuständigkeiten
Es kann bei einem
Objekt zur Überschneidung der Zuständigkeiten von Gemeinde und Staatlichem
Arbeitsschutz kommen. Die Überprüfung der Unterkunft erfolgt in diesen Fällen
aufgrund gegenseitiger Absprache.
3
Zuständigkeit anderer Stellen
Die Zuständigkeit
anderer Stellen zur Überprüfung von Unterkünften bleibt unberührt.
4
Schlussbestimmung
Dieser Runderlass
tritt am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft.
- MBl. NRW. 2022 S. 813