Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2000 Nr. 15 vom 20.3.2000 Seite 189 bis 204
Unmittelbare Wirkung der Richtlinie 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung bei der Anwendung des Immissionsschutzrechtes Gem. RdErl. d. Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft - V B 4 – 8001.8.22 (V Nr. 1/2000) - u. d. Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr - 414-84-03 - v. 8. 2. 2000 |
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Unmittelbare Wirkung der Richtlinie 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung bei der Anwendung des Immissionsschutzrechtes Gem. RdErl. d. Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft - V B 4 – 8001.8.22 (V Nr. 1/2000) - u. d. Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr - 414-84-03 - v. 8. 2. 2000
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Unmittelbare Wirkung
der Richtlinie 96/61/EG
über die integrierte Vermeidung
und Verminderung der Umweltverschmutzung
bei der Anwendung des Immissionsschutzrechtes
Gem. RdErl. d. Ministeriums für Umwelt,
Raumordnung und Landwirtschaft - V B 4 –
8001.8.22 (V Nr. 1/2000) -
u. d. Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand,
Technologie und Verkehr - 414-84-03 - v. 8. 2. 2000
Die Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (ABl. EG Nr. L 257 S. 26) sog. IVU-Richtlinie (nach der englischen Fassung auch als IPC oder IPPC – Richtlinie bezeichnet) – hätte bis zum 30.10.99 in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Die Richtlinie trifft materiellrechtliche Regelungen für den Betrieb und verfahrensrechtliche Regelungen für die Zulassung und Überwachung bestimmter, in einem Anhang zur Richtlinie benannter Vorhaben. Ihr Ziel ist die integrierte, d.h. alle Auswirkungen auf Luft, Wasser und Boden berücksichtigende Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung.
Die Umsetzung der Richtlinie sollte zunächst im Rahmen des Umweltgesetzbuches erfolgen und ist nunmehr im Rahmen eines Artikelgesetzes geplant. Da dies noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, ergehen zur unmittelbaren Anwendung der IVU-Richtlinie im Bereich des Immissionsschutzrechtes die folgenden Hinweise.
1.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes entfalten einzelne
Bestimmungen einer EG-Richtlinie unmittelbare Wirkung, wenn sie
- nicht fristgerecht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurde
- inhaltlich unbedingt und
- hinreichend bestimmt sind.
Rechtsfolge dieser unmittelbaren Wirkung ist es, dass Behörden und Gerichte verpflichtet sind, die jeweiligen Bestimmungen von Amts wegen zu beachten. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Richtlinie individualschützenden Charakter hat und ob sich ein Betroffener auf ihn begünstigende Bestimmungen beruft (Urteil des EuGH vom 11.8.95, NVwZ 96, 369).
Nicht unmittelbar anwendbar sind solche Richtlinienbestimmungen, durch die ein Bürger (Betreiber) materiell belastet wird. Liegt eine Belastung dagegen lediglich in Form einer Mitwirkungsobliegenheit in einem Verwaltungsverfahren (etwa: Vorlage bestimmter Unterlagen) vor, so hindert das nicht, von einer unmittelbaren Wirkung der Richtlinie auszugehen. Richtlinienbestimmungen, die allein Behördenverpflichtungen normieren, gelten unmittelbar.
2.
Von einer Anwendung der IVU-Richtlinie im Bereich des Immissionsschutzrechtes
sind alle Anlagen betroffen, die dem Anhang I der Richtlinie unterfallen (im
folgenden: IVU-Anlagen).
Die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit von Anlagen richtet sich ausschließlich nach der 4. BImSchV. IVU-Anlagen, die nicht in der 4. BImSchV benannt sind, bedürfen keiner Genehmigung nach § 4 BImSchG.
3.
Bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, vorhandener
Beurteilungsspielräume sowie von Ermessensvorschriften und Ausnahmeregelungen
im geltenden Recht ist innerhalb der hiernach bestehenden Spielräume in Bezug
auf IVU-Anlagen die Auslegung oder Entscheidung zu wählen, die den
Anforderungen der IVU-Richtlinie am ehesten gerecht wird.
4.
Soweit im folgenden keine Aussagen zu einer unmittelbaren Anwendung der
Richtlinie getroffen werden, ist unbeschadet der Nummer 3 das geltende Recht
wie bisher anwendbar.
5.
Art. 3 der Richtlinie sieht eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten vor,
bestimmte Grundpflichten für die Betreiber von IVU-Anlagen zu statuieren
beziehungsweise bei der Festlegung der Genehmigungsauflagen zu berücksichtigen.
Hierdurch werden im Wege der unmittelbaren Anwendung keine neuen
Verpflichtungen der Betreiber von IVU-Anlagen begründet, da dies eine
unzulässige materielle Drittbelastung darstellen würde. Nummer 3 dieses
Erlasses ist zu beachten.
6.
Gem. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie sollen nationale Rechtsvorschriften die
Vorlage bestimmter Genehmigungsunterlagen fordern. Für den Bereich
immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger IVU-Anlagen sind diese
Anforderungen im wesentlichen durch die Vorschriften der §§ 4 ff der 9. BImSchV
umgesetzt.
Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie, wonach Antragsunterlagen durch entsprechend aussagekräftige Unterlagen einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach der Störfallverordnung ersetzt werden können, ist als begünstigende Bestimmung unmittelbar anwendbar.
7.
Der in Bezug auf seine verfahrensrechtlichen Anforderungen unmittelbar
anwendbare Art. 7 der Richtlinie verpflichtet die Genehmigungsbehörde, alle
erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um eine Koordinierung aller für die
Ausführung der IVU-Anlage erforderlichen Zulassungsverfahren zu erreichen. Auch
müssen die in den jeweiligen Zulassungen benannten Anforderungen inhaltlich
koordiniert werden. Diesen Verpflichtungen hat die Genehmigungsbehörde
insbesondere im Rahmen des § 10 Abs. 5 BImSchG zu entsprechen.
Zur Erfüllung der Anforderungen an eine materielle Integration ist eine Belastung des Betreibers über die materiellen Anforderungen des geltenden Rechtes hinaus nicht zulässig. Auf Nummer 3 dieses Erlasses wird verwiesen.
8.
Gem. Art. 8 und Art. 9 Abs. 1, 3, 5 und 6 der Richtlinie muss die Genehmigung
bestimmte Angaben enthalten. Hieraus ergeben sich keine neuen materiellen
Verpflichtungen des Anlagenbetreibers. Allerdings ist die Festschreibung
bestimmter Angaben in der Genehmigung auch dann erforderlich, wenn die
Genehmigungsbehörde diese Festschreibung nach geltendem Recht nicht für
zwingend erforderlich hält. Im einzelnen muss die Genehmigung die zum
Umweltschutz erforderlichen technischen, organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen
(Art. 8 Abs. 2), alle relevanten Emissionsbegrenzungen – Emissionswerte - (Art.
9 Abs. 3), Überwachungsmaßnahmen (Art. 9 Abs. 5) und Maßnahmen bei
Betriebsstörungen und Betriebsstillegungen (Art. 9 Abs. 6) angeben. Diese
Angaben können auch durch regelnde Verweisung auf die Antragsunterlagen
erfolgen.
Eine Festschreibung in der Genehmigung ist gem. Art. 9 Abs. 8 der Richtlinie dann nicht erforderlich, wenn sich die einzelne Anforderung bereits hinreichend konkret aus dem geltenden Recht (namentlich aus einer der Verordnungen zum Bundes-Immissionsschutzgesetz) ergibt; die Beschreibung von Anforderungen in einer Verwaltungsvorschrift (z.B. TA Luft, TA Lärm) ist nicht ausreichend.
9.
Art. 13 der Richtlinie ist als Verpflichtung der Behörde unmittelbar
anzuwenden. Nach Absatz 1 ist der Inhalt der für IVU-Anlagen erteilten
Genehmigungen bezüglich der Anforderungen der Richtlinie regelmäßig zu
überprüfen und gegebenenfalls auf den neusten Stand zu bringen. Neben dieser
Regelprüfung muss eine Überprüfung und gegebenenfalls Aktualisierung erteilter
Genehmigungen immer dann stattfinden, wenn die in Art. 13 Abs. 2 benannten
Umstände vorliegen.
10.
Gem. Art. 14 1. Spiegelstrich der Richtlinie ist sicherzustellen, dass die
Genehmigungsbestimmungen eingehalten werden. Hiernach muss die
Überwachungsbehörde die geeigneten Maßnahmen treffen, um sich in angemessenem
zeitlichen und inhaltlichen Rahmen von der Einhaltung der Genehmigung zu
überzeugen.
Art. 14 2. Spiegelstrich ist als den Betreiber belastende Bestimmung nicht
unmittelbar anwendbar. Soweit allerdings das geltende Recht Auskunftspflichten
unmittelbar oder auf Verlangen der Behörde vorsieht, ist das Ermessen der
Behörde zur Durchsetzung dieser Pflichten eingeschränkt.
11.
Gem. Art. 15 der IVU-Richtlinie sind Anträge auf Genehmigung neuer oder die
wesentliche Änderung vorhandener IVU-Anlagen der Öffentlichkeit zugänglich zu
machen, damit sie dazu Stellung nehmen kann. Anschließend muss die Entscheidung
über die Erteilung der Genehmigung einschließlich einer Durchschrift der
Genehmigung der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
Soweit § 16 Abs. 2 BImSchG ein Absehen von der Öffentlichkeitsbeteiligung ermöglicht, wird in der Regel keine wesentliche Änderung der Anlage im Sinne von Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Nr. 10. b) der IVU-Richtlinie vorliegen.
Bei IVU-Anlagen, die in Spalte 2 des Anhangs zur 4. BImSchV benannt sind, soll die Genehmigungsbehörde zur Beachtung des Art. 15 der Richtlinie darauf hinwirken, dass ein Antrag nach § 19 Abs. 3 BImSchG gestellt wird. Wird ein solcher Antrag nicht gestellt, so findet die von der Richtlinie geforderte Öffentlichkeitsbeteiligung in Anlehnung an die Vorschriften zur Durchführung eines förmlichen Genehmigungsverfahrens nach § 10 BImSchG sowie der 9. BImSchV statt mit der Einschränkung, dass die Einwendungen lediglich im schriftlichen Verfahren vorgelegt und ohne mündliche Erörterung geprüft werden.
Unabhängig von einem Auskunftsanspruch nach dem Umweltinformationsgesetz ist die Genehmigungsbehörde verpflichtet, jedermann auch ohne Nachweis eines Interesses Einsicht in den Genehmigungsbescheid für eine IVU-Anlage sowie in die dort in Bezug genommenen Antragsunterlagen zu gewähren. Hierbei sind etwaige Gegenrechte wie der Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen oder der Datenschutz zu beachten. Zu Bestimmung der einschlägigen Gegenrechte können die Vorschriften der §§ 7 und 8 UIG analog herangezogen werden.
12.
Art. 17 der Richtlinie ist unmittelbar anwendbar. Soweit erheblich nachteilige
Auswirkungen einer IVU-Anlage auf die Umwelt eines anderen Mitgliedsstaates
eintreten können oder ein Beteiligungsersuchen eines anderen Mitgliedsstaates
vorliegt, ist mir unverzüglich zu berichten.
MBl. NRW 2000 S. 194